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Die tödliche Flucht

Der Traum von einsamen Abfahrten treibt immer mehr Skitourengeher auch in die entlegenen Habitate der Wildtiere. Den wenigsten ist
bewusst, welchen Überlebenskampf sie durch ihr Verhalten in Gang setzen.

Pflersch hat schon viele schneereiche Winter erlebt: fette Schneisen, üppige Wiesenhänge, meterhohes Weiß oberhalb der Waldgrenze. Berg und Tal in Watte gepackt. Pulver ohne Ende. Den wissen auch Skitourengeher jedes Jahr für sich zu nutzen. Es ist der Drang nach Neuem, der sie nicht nur in die schneereichsten, sondern auch in die einsamsten Winkel der Bergwelt treibt.
Was viele nicht wissen: Einige ihrer selbsterkundeten Touren führen direkt durch die Habitate der Wildtiere – Ruhezonen, in denen sie den Winter möglichst ungestört verbringen möchten. Ihr dichtes Fell und Federkleid reichen oft nicht aus, um die kalte Jahreszeit zu überstehen. Mit gedrosselter Körpertemperatur, reduziertem Herzschlag und verkleinertem Magen suchen sie in der Morgen- oder Abenddämmerung übrige Gräser, Kräuter und Flechten. Die restliche Zeit verbringen sie fast regungslos liegend im Halbschlaf - Überwintern auf Sparflamme, weil jede Bewegung wertvolle Energie kostet. Manche Tiere verbringen jeden Winter am selben Ort – sofern sie nicht ein paarmal hintereinander gestört werden. Dann raffen sie ihre letzten Kräfte auf, um eine neue Bleibe zu suchen. Eine Flucht, die nicht selten mit dem Tod endet.

Hetzjagd durch den Wald

Thomas Windisch, 38, ist begeisterter Tourengeher. Der Vorstand des örtlichen Alpenvereins und Bergretter kennt fast jede Route in Pflersch. Als Förster, Jäger und Jagdaufseher kennt er auch fast jedes Habitat der Wildtiere. „Ein aufsteigender Skitourengeher auf einem vielbegangenen Weg bringt sie nicht so schnell aus der Fassung“, sagt Windisch. Das Knirschen der Skischuhe, das Ziehen der Felle – Geräusche im Schritttempo lassen ihnen genügend Zeit zu verschwinden. Panik kommt hingegen auf, wenn Tourengeher urplötzlich mit hohem Tempo an ihnen vorbeipreschen oder auf sie zurasen. Rotwild überwintert meist in sonnigen Südhängen. Steinböcke und Gämsen liegen auf windgeschützten Berghängen oberhalb der Waldgrenze. Auerhühner verstecken sich im lichten Wald, Birkhühner lieben Geländerücken mit Latschen und Grünerlen, die aus der Schneedecke schauen und an Pulverschnee grenzen. Schneehühner graben sich in den Schnee abgewehter Rücken und Grate. Fühlen sie sich in ihren Höhlen bedroht, fliegen sie bis zu 400 Meter hangabwärts, die sie danach zu Fuß wieder aufsteigen müssen. Ein bis zwei Fluchtversuche beim Fressen führen nicht selten zum Tod. Am schlimmsten ist es in den frühen Morgenstunden.

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Skitouren lenken und umlenken

2017 wurden im Jagdrevier Brenner rund 50 Wildtiere aufgefunden, die den Winter nicht überlebt haben. „Die Dunkelziffer wird weit höher sein“,
sagt Windisch. „Hauptgrund war sicherlich der schneereiche Winter, der sie an ihre Grenze trieb, aber vielleicht waren es auch Störungen, die
dazu beigetragen haben.“ Um die Winterruhe der Wildtiere so gut wie möglich vor Menschen zu schützen, wollen die Alpenvereine Gossensass und Pflersch zusammen mit den Tourismusorganisationen im kommenden Jahr Faltkarten herausgeben und dadurch die Skitouren lenken und umlenken. „Wir möchten den Wald nicht zum Sperrgebiet erklären, aber wir weisen die Skitourengeher darauf hin, wo die Tiere den Winter verbringen.“ Durch die Lenkung sollen auch Jungwuchsflächen in den Wäldern geschützt werden. Fährt jemand nämlich mit Skiern über kaum zugeschneite Wipfel, schält er die dünnen Rinden der Bäume ab, die dann von Pilzen befallen und in einigen Jahrzehnten geschwächt in sich zusammenbrechen werden.

Niedriger Puls bei Baum und Wild

Wie also kann ein Skitourengeher respektvoll seine Spuren durch den Schnee ziehen? Thomas Windisch rät, sich bei der Tourenplanung nicht
nur über die Lawinenlage, sondern auch über Ruhezonen des Wildes zu informieren. Zudem gibt es einige Regeln, die jeder, der sich im Wald aufhält, beachten sollte: „Im Hochwinter sollte man Touren in der Dämmerung meiden und in der Nacht ausschließlich vielbegangene Routen wählen, denen das Wild bereits aus dem Weg geht. Wenn schon Nachtskitouren, dann ausschließlich auf stark frequentierten Forststraßen und Skipisten. In Fütterungszonen, an Waldrändern, Baumgruppen und schneefreien Flächen halten sich oft Tiere auf. Es ist also wichtig, Abstand zu halten, die Waldgrenze in direkter Linie zu durchqueren, das Wild nur aus der Distanz zu beobachten und auch keiner Wildspur zu folgen.“
Hunde sollten beim Aufstieg sicherheitshalber an der Leine oder bei Fuß gehalten werden, damit sie in ihrer instinktiven Jagdlust kein Wild
aufscheuchen oder beißen. Nicht selten werden Tiere aufgefunden, die von Hunden gerissen wurden. Wer in Aufforstungen und Jungwuchs fährt,
verletzt zudem die Vegetation; deshalb sollten nur bei ausreichendem Schnee Skitouren unternommen werden. So haben Wild und Baum gute
Chancen, den Winter heil zu überstehen.

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